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AutorenbildReto Kessler

Wie Jobsharing von Vätern zu einer Leistungskultur beiträgt

Unternehmen brauchen engagierte, verantwortungsvolle und flexible Mitarbeitende. Eine Schlüsselrolle spielen dabei Väter, die Karriere und Familie gut unter einen Hut bringen. Jobsharing ist eine wichtige Möglichkeit, dies zu bewerkstelligen. Und davon profitieren Unternehmen weit mehr, als ihnen bewusst ist.



Viele Unternehmen – so geht es beispielsweise aus den Stelleninseraten hervor - sehen das Engagement, die Flexibilität oder die Motivation ihrer Mitarbeitenden als «Charaktereigenschaften». Die Unternehmen investieren viel in die Auswahl der «passenden Kandidatinnen und Kandidaten». Als Organisationsberater möchte ich einen anderen Aspekt in den Fokus rücken: Die Organisationskultur. Darstellen werde ich das anhand einer Geschichte:


Leon, 32, IT-Projektleiter

Leon ist 32 und arbeitet seit 6 Jahren als IT-Projektleiter in einem grossen Industrieunternehmen. Seit seinem Studium hat er viel Erfahrung gesammelt und sich durch seine Führungsqualitäten hervorgetan. Schon seit einiger Zeit sind sich seine Chefin und die HR-Abteilung einig: Er wird in Kürze die Leitung eines Teams übernehmen.


Wie bei vielen Männern in Leons Alter fallen drei Ereignisse in diesem Lebensabschnitt zusammen: Ein wichtiger Schritt in der Karriere, die Gründung einer Familie und der Umzug in ein dafür geeigneteres Eigenheim. Wie lässt sich das bewerkstelligen? Dafür gibt es zwei Grundszenarien.


Szenario 1. Das traditionelle Familienmodell

Leon und seine Lebenspartnerin entscheiden sich für das traditionelle Familienmodell: Damit Leon Karriere machen kann, übernimmt seine Lebenspartnerin den Löwenanteil der Familienarbeit. Das Modell mit vollzeiterwerbstätigem Vater und teilzeiterwerbstätiger Mutter ist in der Schweiz aktuell das meist gewählte. Sie nimmt dadurch diverse Nachteile für sich in Kauf (z. B. finanzielle Abhängigkeit, reduzierte Karrierechancen). Aus Sicht von Leons Unternehmen sieht diese Lösung optimal aus – zumindest auf den ersten Blick. Denn Leon steht weiterhin in vollem Umfang für seine Tätigkeit zur Verfügung.

Eine Woche im Leben eines vollzeiterwerbstätigen Elternteils
So verändert sich die Alltagsgestaltung mit der Familiengründung (Quelle: Väternetzwerk Schweiz)

Betrachtet man das Familienmodell gesamtheitlich und auf längere Zeit, sieht die Sache anders aus – auch für das Unternehmen:

  • Um seine Partnerin zu entlasten, muss Leon seine Zeit für eigene Interessen, Hobbies und Beziehungspflege deutlich reduzieren.

  • Die zwei Wochen «Vaterschaftsurlaub» genügen dem Paar nicht, um sich auf die neue Lebenssituation gut einzustellen. Schnelle Kompromisse rücken in den Vordergrund.

  • Aufgrund der hohen Abwesenheit ist es für Leon schwierig, seine Rolle in der Familie als Vater zu finden. Er hilft wo er kann, die Verantwortung zu Hause hat jedoch meist seine Partnerin. Sie klagt über den hohen «Mental Load».

  • In der Rolle des Allein- oder Hauptverdieners steigt der Druck auf Leon, Karriere zu machen, um das Familieneinkommen sicherzustellen.


Steigender Druck, weniger Beziehungspflege ausserhalb von Familie und Arbeit sowie das Gefühl, den Anforderungen als Vater und Partner nicht ausreichend gerecht zu werden, haben Einfluss auf Leons Leistungsfähigkeit und seine Gesundheit.


Die Krux ist, die Symptome werden oft erst viele Jahre nach der Familiengründung sichtbar. Häufig bringt man sie dann nicht mehr damit in Verbindung. Eine verminderte Motivation oder Leistungsfähigkeit sowie gesundheitliche Probleme werden eher dem Alter, Lustlosigkeit oder anderen Gründen zugeschrieben. Zudem hat die Familie in diesem Modell weniger Reserven, um auf unvorhersehbare Ereignisse zu reagieren. Besonders deutlich wurde dies während der Pandemie.

 

Die Krux ist, die Symptome werden oft erst viele Jahre nach der Familiengründung sichtbar.

 

Szenario 2. Das egalitäre Familienmodell

Leon und seine Partnerin vereinbaren, dass sie beide auch nach der Familiengründung zum Familieneinkommen beitragen, beide Teilzeit arbeiten und sich die Familienarbeit (auch Care-Arbeit) teilen wollen. Damit wählen sie ein Erwerbsmodell, welches gemäss nationalem Barometer zur Gleichstellung von der Mehrheit als das bevorzugte Modell angesehen wird. Die Entscheidung ist ihnen leicht gefallen. Denn Leons Unternehmen hat vorgesorgt. Seine Chefin hat einen Plan zusammen mit Leon ausgearbeitet, als er sein Vaterwerden bekannt gab. Dieser sieht vor, dass er sein Pensum als Projektleiter nach der Geburt seines Kindes für eine gewisse Zeit auf 40% reduziert. Die anderen 60% übernimmt ein junger Projektleiter, welcher nach Abschluss seines berufsbegleitenden Studiums mit einem 80%-Pensum neu ins Unternehmen eintritt. Durch diesen «Junior-Senior-Ansatz» erhält der Junior-Projektleiter die Möglichkeit, sich einzuarbeiten und von Leon zu lernen, bevor er die Stelle nach 12 Monaten komplett übernimmt.

Unterschiedliche Alltagsgestaltung je nach Voll- oder Teilzeiterwerbstätigkeit
Unterschiedliche Alltagsgestaltung je nach Voll- oder Teilzeiterwerbstätigkeit (Quelle: Väternetzwerk Schweiz)

Leon will sich beruflich weiterentwickeln und strebt an, eine Führungsposition zu übernehmen. Der HR-Leiter im Unternehmen schlägt vor, die Teamleitung im Topsharing zu besetzen. Leon kann sich diese Führungsrolle zusammen mit Marina teilen. Beide arbeiten in einem Pensum von 60%. Marina hat die Teamleitung bisher in einem 100%-Pensum ausgeübt. Sie möchte im nächsten Jahr eine grössere Weiterbildung angehen. Dafür kann sie die Zeit gut brauchen, die durch das Topsharing mit Leon frei wird.


Das Unternehmen bietet diesen Plan aus folgenden Überlegungen an:

  • Projektleitung und Teamleitung lernt man «on the Job» (nicht im Studium allein). Ein «Junior-Senior-Jobsharing» kombiniert mit Mentoring bietet zwei wesentliche Vorteile: ein schnelles Einarbeiten und die Möglichkeit, von erfahrenen Leuten zu lernen.

  • Private Kompetenzentwicklung stellt einen Mehrwert für das Unternehmen dar.

  • Mitarbeitende, die Familie und Beruf gut unter einen Hut bekommen, sind motivierter und leistungsfähiger – auch langfristig.

  • Wer nicht ständig «am Anschlag» funktioniert, verfügt über Reserven, die bei Bedarf genutzt werden können.

  • Die Teamleitungen sind wichtige Führungspositionen. Ausfälle haben schwere, oft sehr teure Konsequenzen. Die Positionen sind schwer neu zu besetzen. Jobsharing reduziert das Risiko eines Komplettausfalls.


Leons Arbeitgeber profitiert von weiteren Vorteilen, die jedoch weniger offensichtlich sind. So erhält Leon regelmässig Angebote von «Active Sourcern». Er ist jedoch nicht interessiert. Auf eine 100%-Stelle hat er keine Lust, so lange seine Kinder noch zu Hause sind. Wieso sollte er sich das antun? Selbst in der Unternehmensleitung gibt es inzwischen Topsharing. Seine Karriere ist noch nicht zu Ende. Er empfindet eine hohe Loyalität gegenüber seinem Unternehmen, weil ihm seine Arbeitgeberin ein Angebot macht, welches zu seinen Lebensphasen passt.


Umgekehrt hat sich in Leons Unternehmen herumgesprochen, dass Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur auf dem Papier steht. Darauf legt insbesondere die jungen Generation viel Wert. Jedenfalls tut sich das Unternehmen im Vergleich zu anderen leicht, qualifizierten Nachwuchs zu finden.


Leon hat als Vater zu Hause viel dazugelernt. Während seine Partnerin arbeitet, hat er die volle Verantwortung für Haushalt und Kinderbetreuung. Er hat eine starke und eigenständige Beziehung zu seinem Kind aufgebaut. Zudem hat Leon besser gelernt, Grenzen zu setzen und seine individuellen Bedürfnisse zurückzustellen. Beides hat ihn auch in der Arbeit weitergebracht.

 

Jobsharing kombiniert mit Mentoring bietet zwei wesentliche Vorteile: ein schnelles Einarbeiten und die Möglichkeit, von erfahrenen Leuten zu lernen.

 

Wie wir den Gap zwischen Wunsch und Wirklichkeit schliessen

Viele Eltern - Mütter wie Väter - wünschen sich eine partnerschaftliche Aufteilung der Familien und Erwerbsarbeit. Das gilt besonders für die junge Generation. Tatsächlich hatte keine Generation zuvor den Gestaltungsraum der heutigen. Dieser wird zunehmend genutzt. Allerdings ist der Gap zwischen Wunsch und Wirklichkeit bei den meisten Paaren nach wie vor gross.


Für Unternehmen ist ein Aspekt besonders wichtig: Durch erweiterte Gestaltungsmöglichkeiten entsteht ein Erwartungsdruck. Das gängige Bild in der Gesellschaft ist: Wer die Freiheit hat, soll sie bitte auch nutzen. Eine gute Mutter oder ein guter Vater ist - so die gesellschaftliche Erwartung - wer Beruf und Familie gut unter einen Hut bekommt. Und so sehen wir heutige Väter und Mütter in einem zunehmenden Spannungsfeld.


Bei Vätern heisst das: Ein «richtiger Mann traditioneller Prägung» und zeitgleich ein «engagierter Vater moderner Prägung» zu sein. Ein Vater soll einerseits zum Erwerbseinkommen massgeblich beitragen und dennoch in der Familie präsent sein, und dies nicht nur am Abend und an den Wochenenden. Das geht nur auf, wenn Männer sich beispielsweise durch Teilzeitarbeit mehr Zeit für die Familie schaffen können sowie Zeitreserven nutzen, die sie bisher für eigene Interessen und Beziehungspflege ausserhalb der Familie genutzt haben. Vereinbarkeit muss man daher im Spannungsdreieck von Familie, Beruf und Eigenwelt sehen.


Damit werden zwei Punkte deutlich:

  1. Wenn Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Selbstfürsorge gelingt, hat dies einen starken, positiven Einfluss auf Wohlbefinden, Motivation und Leistungsfähigkeit der Beteiligten.

  2. Wie gut die Vereinbarkeit gelingt, hängt stark vom Rahmen und der Normalitätserwartungen ab – auch und gerade im Unternehmen.

Väter sind der Schlüssel für eine Verhaltensänderung hin zu mehr Gleichstellung von Frauen und Männern. Wer ein 24h-Papa und ein Karriereüberflieger sein muss, macht zwangsläufig Abstriche: in der Beziehung (zum Kind, zur Partnerin, zu Freunden), bei der Gesundheit und damit auf Dauer bei Motivation und Leistungsfähigkeit.


So können Unternehmen handeln

Unternehmen sollten Massnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf (wie Jobsharing) daher nicht primär als «Angebote im Rahmen des Employer Brandings» sehen, sondern als echte Investition in die Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden. Familienfreundlich ist ein Unternehmen, wenn es – auch in Führungspositionen – normal ist, dass auch Väter ihre Verantwortung in der Familie übernehmen (und um 16:45 Uhr pünktlich gehen, um das Kind von der Krippe abzuholen oder zu Hause bleiben, wenn ein Kind krank ist). Denn nur so können sie ihren Frauen den Rücken freihalten für deren Karrierepläne.


Damit dies gelingt, müssen Unternehmen Männern und Vätern Angebote machen, die sie annehmen und nutzen. Das ist, in dem oben genannten Spannungsfeld, keine einfache Aufgabe. Die Erfahrung zeigt, dass Männer Angebote zur Vereinbarkeit oft als Angebote (von Frauen) für Frauen wahrnehmen. Väter wissen allerdings meist genau, was andere Väter brauchen. Diese Erfahrungswerte können von Unternehmen genutzt werden. In unternehmensinternen Väternetzwerken beispielsweise vernetzen sich Väter untereinander. So engagieren sich die Väter, eigeninitiativ und selbstorganisiert, für eine familienfreundliche Unternehmenskultur und leisten so einen Beitrag zu Wahlfreiheit und Chancengleichheit für Frauen und Männer.

 

Unternehmen sollten Massnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf (wie Jobsharing) daher nicht primär als «Angebote im Rahmen des Employer Brandings» sehen, sondern als echte Investition in die Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden.

 

Zum Autor:


Reto Kessler lebt mit seiner Frau und seinen drei Töchtern in der Ostschweiz. Er teilt sich die Familienarbeit mit seiner Partnerin im Jobsharing (sie ist zu 90%, er zu 80% erwerbstätig). Er ist Coach, systemischer Organisationsberater und bei www.maenner.ch zuständig für die betriebliche Väterarbeit (Väternetzwerk Schweiz). Zur Selbstfürsorge gehört für ihn u. a. mit Familie oder Freunden in den Bergen, auf den Flüssen oder Seen unterwegs zu sein.

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