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AutorenbildKarin Ricklin

Verschiedene Wege führen zum Topsharing

Nicht immer muss es nach Schema F ablaufen. Sprich: ein Tandem bewirbt sich auf eine Job- oder Topsharingstelle und tritt diese dann gemeinsam an. Ilona Segessenmann-Schenker war bereits mehrere Jahre beim Elternnotruf tätig, als Yvonne Müller neu dazu stiess. Seither leiten die beiden Frauen das Team des Elternnotrufs erfolgreich im Topsharing. Wieso Ilona und Yvonne Fans von diesem Arbeitsmodell sind und weshalb am Schema F doch etwas dran ist: Darüber haben die beiden im Interview mit Karin von WEshare1 gesprochen.


Portrait Ilona Segessenmann-Schenker und Yvonne Müller


 

Interessiert, wie sich das Topsharing von Ilona und Yvonne weiterentwickelt hat? In unserer #followup Blogserie fragen wir nach.

 

Karin Ricklin: Wie ist Euer Topsharing zu Stande gekommen?


Ilona Segessenmann-Schenker: Ich arbeitete bereits acht Jahre beim Elternnotruf im Fundraising, als aufgrund einer Pensionierung die Stelle als Leiterin des Elternnotrufs frei wurde. Dieser Job reizte mich sehr, gleichzeitig wollte ich ihn nicht alleine, sondern in einem Topsharing ausüben. Nach einigen Gesprächen konnte ich den Vorstand für dieses Modell gewinnen.


Yvonne Müller: Vor dem Elternnotruf habe ich bereits an unterschiedlichen Orten sehr gute Erfahrungen mit Jobsharing gemacht. Als ich das Inserat für die Co-Leitung beim Elternnotruf sah, wusste ich: Diese Stelle möchte ich haben!


K: Ilona, was war schliesslich ausschlaggebend, dass Du den Vorstand für Deine Idee begeistern konntest?


I: Die Hauptsorgen bestanden darin, dass es zu Doppelspurigkeit kommt und zu viele Konflikte im Führungstandem entstehen könnten. Hilfreich war, dass im Gremium bereits eine Person sass, die über langjährige Erfahrung im Jobsharing verfügte. Anhand eigener Praxisbeispiele konnte sie aufzeigen, dass schlussendlich der Nutzen überwiegt


Y: Umso mehr freute es uns, als Renée Giger, Präsidentin des Vorstands, Ilona und mich beim Probezeitgespräch als Dream-Team bezeichnete. Es tut gut, diese Wertschätzung zu spüren und zeigt gleichzeitig, dass wir auf dem richtigen Weg sind.


 

"Hilfreich war, dass im Gremium bereits eine Person sass, die über langjährige Erfahrung im Jobsharing verfügte."

 

K: Ihr seid nun seit Sommer 2020 im Topsharing erfolgreich miteinander unterwegs. Wie verliefen der Bewerbungsprozess und Euer gemeinsamer Start?


Y: Ilona sah ich beim Bewerbungsgespräch, die weiteren Schritte fanden innerhalb des Vorstands statt. Als Tandem sind wir im Juli 2020 "frisch von der Leber" weg gestartet und seither laufend daran, die Prozesse zu optimieren, damit wir noch effizienter werden.


I: Wir sehen einiges an Potential, damit wir die einzelnen Bereiche noch besser untereinander aufteilen können. Zuerst wollten wir kein «Gärtli»-Denken, mittlerweile sind wir jedoch überzeugt, dass es einzelne Gebiete braucht, bei denen nur eine von uns beiden zuständig ist. Als Unterstützung können wir auf Supervision zurückgreifen. Der Vorstand und die Mitarbeitenden sind sich bewusst, dass das Ganze noch ein wenig Zeit benötigt und unterstützen uns dabei.


 

"Wir sehen einiges an Potential, damit wir die einzelnen Bereiche noch besser untereinander aufteilen können."

 

K: Wie habt Ihr die Stelle momentan aufgeteilt?


I: Ich arbeite 60% und bin jeweils dienstags, donnerstags und freitags am Arbeiten, wobei Donnerstag unser Teamtag ist. Nebenbei absolvierte ich bis vor Kurzem eine intensive Weiterbildung, ausserdem bin ich Mutter von zwei Teenager-Töchtern. Nebst dem Fundraising kümmere ich mich um die Finanzen. Die Öffentlichkeitsarbeit machen wir gemeinsam. Liegt der Fokus allerdings mehr auf der Beratung, dann ist Yvonne zuständig. Grundsätzlich finde ich es bedeutsam, gezielt darauf zu achten, wer wo welche Stärken hat und die Aufgaben entsprechend aufzuteilen.


Y: Das gilt neben dem fachlichen auch für den persönlichen Bereich. Zum Beispiel ist Ilona besser im Managen von Pendenzen, während meine Stärke eher in meiner Direktheit und Klarheit liegen. Meine Hauptaufgaben liegen aktuell im Bereich HR und IT. Zusätzlich arbeite ich fix einen halben Tag als Beraterin in der Telefon- und Mailberatung. Das Ganze erledige ich in 60%, verteilt auf Montag bis Donnerstag. Aktuell arbeiten wir beide jedoch tendenziell mehr als die 60%, was auch damit zusammenhängt, dass unsere Tasks noch nicht optimal aufgeteilt sind.


 

"Grundsätzlich finde ich es bedeutsam, gezielt darauf zu achten, wer wo welche Stärken hat und die Aufgaben entsprechend aufzuteilen."

 

K: Bei der Arbeitsaufteilung seid Ihr noch mitten im Prozess. Wie sieht es bei der Mitarbeitendenführung aus?


I: Auch hier gibt es noch Verbesserungspotential und wir sind daran, im Rahmen der Supervision unterschiedlichen Optionen zu diskutieren. Aktuell ist der ganze Rekrutierungsprozess bei Yvonne und die Mitarbeitendengespräche führen wir momentan entweder einzeln oder im Duo durch, je nach Kontext.


Y: Ein zentraler Punkt ist die Klarheit. Es ist wichtig, dass unsere Mitarbeitenden genau wissen, an wen sie sich bei welchem Anliegen richten können.


 

"Es ist wichtig, dass unsere Mitarbeitenden genau wissen, an wen sie sich bei welchem Anliegen richten können."

 

K: Ihr macht ein hybrides Topsharing. Wie und wann tauscht Ihr Euch aus?


I: Wir haben einen «Co-Leitungsblog», wo wir alles notieren und die Inhalte alle zwei Wochen gemeinsam durchgehen. Für Dinge, die schneller entschieden oder bearbeitet werden müssen, nutzen wir Mail und Telefon. Ausserdem teilen wir das Büro an den ein bis zwei Tagen, an denen wir gemeinsam da sind. Aufgrund von Corona ist das momentan jedoch nur reduziert möglich. Es kommt auch immer mal wieder vor, dass wir Themen ausserhalb unserer Arbeitstage klären müssen. Wir versuchen uns dabei beide an den Grundsatz zu halten: «So viel wie nötig, so wenig wie möglich».


Y: Gegenseitiges Vertrauen ist essenziell. Wenn eine von uns anwesend ist und eine dringende Anfrage hereinkommt, entscheiden wir in der Regel selbst und holen nicht noch die Andere ab, wenn nicht zwingend nötig. Dies funktioniert gut, da wir beide ähnlich ticken bzw. ähnliche Vorstellungen und Haltungen haben. Entscheidend ist, einander immer zu informieren darüber, was gerade entschieden wurde, damit beide jeweils «up to date» sind. Das Risiko, dass doch einmal etwas entschieden wird, das nicht im Sinne der Anderen war, gehen wir bewusst ein. Schlimmstenfalls diskutieren wir im Nachhinein, wie wir das Thema künftig handhaben wollen.


 

"Gegenseitiges Vertrauen ist essenziell."

 

K: Auf der fachlichen Ebene ergänzt Ihr Euch sehr gut. Wie sieht es auf der persönlichen Ebene aus?


Y: Ich bin eher die Aufbrausende, Impulsive und suche Veränderung und Dynamik. Das kann teils auch zu viel werden, wie mir meine Mitarbeitenden schon zurückgemeldet haben (lacht). Umso wertvoller ist es, mit Ilona einen ruhigen Pol an der Seite zu haben. Nicht nur für mich, sondern auch für das Team ist das ein grosser Mehrwert.


I: Einer unserer Mitarbeitenden hat das einmal so zusammengefasst: «Wenn Yvonne da ist, hört man sie - immer. Ilona hingegen ist einfach da». Im Gegensatz zu Yvonne bin ich eher die Ruhige und denke grundsätzlich lieber noch eine Weile nach, als sofort zu entscheiden. Durch Yvonne erhalte ich neue Impulse und probiere in gewissen Bereichen schneller auch einfach einmal etwas aus. Das ist ein grosser Gewinn für mich.


 

"Durch Yvonne erhalte ich neue Impulse und probiere in gewissen Bereichen schneller auch einfach einmal etwas aus. Das ist ein grosser Gewinn für mich."

 

K: Bei so viel Komplementarität gibt es bestimmt auch Reibungspunkte. Wie geht Ihr mit Konflikten um?


Y: Effektiv. Zumal ich auch sehr direkt bin und Dinge offen anspreche. Aber genau das ist auch ein entscheidender Punkt. Jede von uns spricht Unstimmigkeiten jeweils frühzeitig an, damit keine grossen Konflikte daraus entstehen können. Bis jetzt fanden wir immer einen Weg, respektvoll und wertschätzend mit Differenzen umzugehen. Hinzu kommt, dass Ilona ein unglaublich toleranter Mensch ist. Wenn ich z. B. etwas vergesse oder später als abgemacht erledige, nimmt sie mir das nicht übel.


I: Das frühzeitige Ansprechen von Dingen, die stören oder irritieren, ist definitiv sehr wichtig. Und ja, Toleranz hilft auf jeden Fall.


 

"Jede von uns spricht Unstimmigkeiten jeweils frühzeitig an, damit keine grossen Konflikte daraus entstehen können."

 

K: Welchen Nutzen zieht Ihr persönlich aus Eurem Topsharing?


Y: Für mich steht das Gemeinsame im Vordergrund; miteinander Belastungen tragen, Entscheide zu zweit fällen oder rückbesprechen, Projekte und Ideen zusammen entwickeln. Im Kollektiv lässt sich mehr erreichen als alleine. Hinzu kommt, dass ich durch das Teilen der Führungsposition die Möglichkeit habe, weiterhin meine Nebenjobs als Dozentin und im Vorstand einer Baugenossenschaft wahrzunehmen.


I: Mit all unseren Stärken und Schwächen ergänzen wir uns sehr gut, gleichzeitig lassen wir einander genügend Freiraum. Ich kann dadurch viel lernen und mich persönlich wie auch fachlich weiterentwickeln.


 

"Im Kollektiv lässt sich mehr erreichen als alleine."

 

K: Weshalb ist der Elternnotruf besser aufgestellt mit Euch beiden im Topsharing anstelle einer einzigen Leitungsperson?


Y: Der Elternnotruf erhält durch uns quasi 2 für 1. Was wir beide an Kompetenzen und Wissen mitbringen, findet man selten in einer Person vereint. Ilona mit ihrem Finanzhintergrund und ich mit meinem beraterischen Background können eine Mischung bieten, die für den Elternnotruf einen grossen Mehrwert bietet.


I: Das stellen wir auch immer wieder in Gesprächen mit Dritten, z. B. Kantonen oder Medien, fest. Dort zeigt sich sehr gut, was für einen grossen Nutzen es für unseren Verein darstellt, dass wir mit unterschiedlichen Perspektiven an die Themen herangehen. Hinzu kommt, dass ich bereits viel Erfahrung vom Elternnotruf mitbringe und Yvonne gleichzeitig mit neuen Ideen Entwicklungen anstossen kann. Die Kombination aus Bewährtem und Neuem bringt den Elternnotruf weiter.


 

"Der Elternnotruf erhält durch uns quasi 2 für 1. Was wir beide an Kompetenzen und Wissen mitbringen, findet man selten in einer Person vereint."

 

K: Was ist aufgrund Eurer Erfahrung entscheidend, damit ein Topsharing zwischen zwei Personen funktionieren kann? Wo seht Ihr Herausforderungen bei diesem Modell?


Y: Die Chemie ist zentral. Im Bewerbungsgespräch habe ich grossen Wert darauf gelegt zu spüren, ob ich mit den jeweiligen Personen hätte zusammenarbeiten können. Bei Yvonne war das ganz klar der Fall, und offensichtlich hat mich mein Gefühl nicht getäuscht (lacht).

Yvonne: Das sehe ich genauso, gegenseitige Sympathie ist zwingend. Die persönliche Ebene muss passen, ansonsten funktioniert eine solche Zusammenarbeit nicht. Ausserdem braucht es, wie erwähnt, eine hohe Toleranz. Insbesondere, wenn viel Komplementarität da ist, spielt der Respekt für die jeweilige Andersartigkeit der Partnerin bzw. des Partners eine entscheidende Rolle.


I: Eine offene Gesprächskultur und frühzeitiges Ansprechen von Unstimmigkeiten sind essenziell. Und wie man bei unserem Beispiel sieht, benötigt es zu Beginn Zeit und Geduld von allen Seiten, bis alles eingespielt ist. Das Ganze ist ein Prozess und es ist wichtig, dass dies vom Verein unterstützt und mitgetragen wird.


 

"Das Ganze ist ein Prozess und es ist wichtig, dass dies vom Verein unterstützt und mitgetragen wird."

 

K: Welchen Tipp würdet Ihr Personen mitgeben, die sich ebenfalls für ein Topsharing interessieren?


Y: Obwohl es bei uns funktioniert hat; meine Empfehlung ist, standardmässig vorzugehen, sich also von Beginn weg als Tandem für eine Stelle zu bewerben. Falls ein Pendant für eine bereits besetzte Stelle gesucht werden muss, sollte der Fokus zuerst bewusst auf der "Chemie" zwischen dem Topsharing-Duo liegen.


I: Es kann herausfordernd sein, wenn jemand schon länger in einem Unternehmen ist und dann jemand Neues hinzukommt. Lässt man der neuen Person aber ausreichend Platz und Raum, bieten sich neue Chancen, die – wie unser Beispiel zeigt – für beide Seiten sehr bereichernd sein können.


 

"Falls ein Pendant für eine bereits besetzte Stelle gesucht werden muss, sollte der Fokus zuerst bewusst auf der «Chemie» zwischen dem Topsharing-Duo liegen."

 

K: Ilona, Du möchtest abschliessend noch etwas zur Arbeit beim Elternnotruf generell sagen.


I: Wir haben nicht klassische 08/15 Jobs, bei denen man abends den Laptop zumacht und auch mental komplett abschaltet. Bei unserer Arbeit schwingt ein grosses persönliches Engagement mit. In meiner kürzlich abgeschlossenen Weiterbildung kam die Frage auf, weshalb ich Fundraising für genau diese Institution mache. Meine Antwort kam direkt aus dem Bauch geschossen: Weil es eine Herzensangelegenheit ist!



K: Herzlichen Dank Euch beiden für dieses Gespräch und weiterhin viel Erfolg bei Eurem Wirken als Tandem in dieser wichtigen Stelle.


 

Zu den Interviewpartnerinnen


Yvonne Müller teilt sich seit dem 1. August 2020 die Leitung des Elternnotrufs mit Ilona Segessenmann. Neben ihrer 60%-Stelle beim Elternnotruf ist Yvonne Studienbegleiterin von Studierenden in Sozialer Arbeit an der ZHAW und im Vorstand einer Wohnbaugenossenschaft. Sie hat einen 15jährigen Sohn und ist seit 8 Jahren liiert. Ihre Freizeit verbringt sie mit 2B und 2J: Bücher, Berge, Joggen, Jassen.


Ilona Segessenmann ist bereits seit 2012 beim Elternnotruf tätig. Vor der Übernahme der Co-Leitung im 60% Pensum arbeitete sie als Verantwortliche für Fundraising, Öffentlichkeitsarbeit, Finanzen und zentrale Dienste beim Elternnotruf. Ilona ist verheiratet und Mutter von 2 Teenagertöchtern (14 und 16). Ihre Freizeit verbringt sie mit Afro-Tanz, Tai-Chi, lesen, wandern, Kultur, Freunden und Familie.

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