Per Januar 2023 haben Michèle Schönbächler und Samuel Schmid die Co-Leitung von Radio SRF 1 und Radio SRF Musikwelle übernommen. Im Interview sprechen die beiden über ihre Erfahrung mit gemeinsamer Führung und wie es ihnen gelingt, dank Topsharing die Führung und die operative Verantwortung in der Rolle als Chef:in vom Dienst zu vereinen.
Die Digitalisierung hat das Medienumfeld in den letzten Jahren stark verändert und neue Herausforderungen für Führungskräfte mit sich gebracht. Die ständig wachsende Informationsflut, die Notwendigkeit zur schnellen Anpassung an neue Technologien und die steigenden Anforderungen an Flexibilität und Innovation stellen Medienunternehmen vor große Aufgaben. Im Sommer 2022 wurden die Redaktionen von Radio SRF 1, SRF 3, SRF Virus und SRF Musikwelle neu organisiert und am Campus Leutschenbach in der Radio Hall zusammengeführt, dies mit dem Ziel, einerseits effizienter und andererseits noch intensiver programmübergreifend zusammenarbeiten können. Im Zuge der Organisationsanpassung ist die Co-Leitung von Michèle Schönbächler und Samuel Schmid entstanden.
Stephanie Briner: Wie genau ist es zu eurer Co-Leitung gekommen?
Samuel Schmid: Während der Reorganisation und zeitgleich mit dem Umzug in den Campus Leutschenbach wurde bekannt, dass meine damalige Vorgesetzte in Frühpension gehen wird. In der Neugestaltung der Organisation wurde für meinen neuen Vorgesetzten Robert Ruckstuhl und mir schnell klar, dass wir auf eine Co-Leitung setzen möchten. Die vorherige Leitungsfunktion war eine reine Managementrolle und in der Reorganisation haben wir definiert, dass wir die Programmleitungen näher mit dem Tagesgeschäft zusammenbringen wollen. Daraus resultiert die sogenannte «Chef:in vom Dienst-Rolle», in welcher wir als Sendeleiterinnen und Sendeleiter redaktionell an der Front mitarbeiten. Das Pensum wird durch diese zusätzliche Rolle höher und kann nicht in einer einzelnen Position abgebildet werden. Alternativ hätten wir auch eine Leitung und eine stellvertretende Leitung installieren können. Für uns war jedoch klar, dass wir den Weg der Co-Leitung gehen möchten. Auf der Sendeleitung war eine Co-Leitung neu, das gab es bislang beim SRF noch nicht.
SB: Was hat für die Co-Leitung und gegen ein «Leitung/Stv.-Modell» gesprochen? SS: Für mich steht im Vordergrund, die Verantwortung zu teilen. Im Co-Lead ist man mit den gleichen Rechten und Pflichten verantwortlich für die Führung und das ganze Aufgabenpacket. Gereizt hat mich insbesondere auch der Sparring-Gedanke.
SB: Und wie ist es bei dir, Michèle, dazu gekommen, die Leitung von Radio SRF 1 und Radio SRF Musikwelle im Topsharing zu übernehmen?
Michèle Schönbächler: Für mich war die Co-Leitung der Grund, wieso mich diese Stelle überhaupt interessierte. Ich hatte bislang keine direkte Führungsrolle inne und der Gedanke daran, eine Gesamtleitung zu übernehmen, hätte mich komplett abgeschreckt. Ich hätte mich dabei gefragt: «kann ich das? Will ich das? Bin ich geeignet für diese Position?». Durch die Co-Leitung sind diese Fragen gar nicht erst aufgetreten. Vielmehr habe ich mich gefragt: «Wer ist mein Gegenüber? Kann ich mit dieser Person in den Dialog gehen? Mit ihr zusammen Verantwortung tragen?». Ohne Co-Leitung hätte ich den Wechsel nicht vorgenommen.
«Für mich war die Co-Leitung der Grund, wieso mich diese Stelle überhaupt interessierte.»
SB: Was gab für euch den Ausschlag, dass es zwischen euch beiden im Co-Lead klappen könnte? SS: Wir hatten schon im Vorfeld beruflich miteinander Kontakt, jedoch nicht direkt zusammengearbeitet. Entscheidend waren die Gespräche im Rahmen der Auswahlverfahrens. Wir haben schnell gemerkt, dass wir ähnliche Vorstellungen haben. MS: Wir sind sozusagen aus dem gleichen Holz geschnitzt. Und was ich hervorheben möchte ist, dass ich unseren Vorgesetzten Robert Ruckstuhl als Person kennengelernt habe, der wahnsinnig gute Menschenkenntnisse hat. Gestützt auf die Gespräche und die Assessmentberichte konnte er sich die Zusammenarbeit zwischen Samuel und mir gut vorstellen. Wir haben auf sein Gespür vertraut. Und dies hat sich zwischenzeitlich auch bestätigt.
SB: Ihr bringt unterschiedliche Erfahrungen und Kompetenzen in die Co-Leitung ein. Samuel bringt viel Führungserfahrung mit. Für dich, Michèle, ist die direkte Führungsarbeit neu. Wie profitiert ihr gegenseitig voneinander?
MS: Es ist für mich spannend zu sehen, wie Samuel die Führungsrolle einnimmt und ich kann von seiner Erfahrung insbesondere im SRF 1-Kontext viel lernen. Mit meinem juristischen Hintergrund und der Coaching Ausbildung kann ich ergänzend dazu viele neue Aspekte einbringen.
SS: Es war ein grosses Bedürfnis mit der Besetzung der Co-Leitung eine Person gewinnen zu können, die nicht aus der internen Struktur kommt und neue Impulse einbringen sowie bestehende Muster aufbrechen kann. Dadurch, dass Michèle vom Sportbereich kommt, bringt sie einen spannenden Aussenblick ein und ist dennoch mit dem Unternehmen SRF vertraut. Michèle hinterfragt bestehende Abläufe und stösst die Reflexion an. Darauf hatte ich stark gehofft und diese Erwartung wurde voll erfüllt.
SB: Wie geht ihr damit um, wenn ihr nicht gleicher Meinung seid?
MS: Aus dem gleichen Holz geschnitzt zu sein heisst nicht, auch immer gleicher Meinung sein zu müssen. Wir diskutieren, bringen Argumente ein und können uns darauf verlassen, dass eine sachliche begründete Entscheidung getroffen werden kann. Zudem ist die Entscheidungsfindung eng mit unserer Organisationsstruktur verknüpft. Von unseren 5 Direct Reports auf Stufe Teamleitung sind drei Personen Samuel und zwei Personen mir zugeteilt, da Samuel mit 80% ein leicht höheres Pensum hat als ich mit 70%. Bei Entscheiden im Bereich von Samuel habe ich ein Vetorecht und umgekehrt. Ich würde dann intervenieren, wenn ich hinter einem Entscheid gar nicht stehen könnte. In der Ausgestaltung der Details schenken wir uns gegenseitig viel Vertrauen und gehen davon aus, dass wir unsere Bereiche im Griff haben.
SS: Das Vertrauen und die Entscheidungsfreiheit sind wichtig. In Anbetracht der vielen Schnittstellen und Themenbereichen, die wir verantworten, wäre es nicht möglich, alles komplett zusammen von A bis Z zu begleiten. Dieser Entscheid ist auch eine Frage der Effizienz.
«Aus dem gleichen Holz geschnitzt zu sein heisst nicht, auch immer gleicher Meinung sein zu müssen.»
SB: Wie seid ihr die Themenzuteilung angegangen?
SS: Es gab bei Stellenantritt keine Vorgaben. Aufgrund der Reorganisation wurden die Aufgaben definiert und das Volumen der einzelnen Aufgaben bestimmt. Ebenso haben wir die Zuständigkeiten neu geregelt und teils Personen im Team mit neuen Aufgaben betraut. Dies ist in einem längeren Prozess über mehrere Monate und über die Platzierung vieler Post-it’s auf einem grossen Pinboard geschehen. Wir verspürten nicht Druck, dass von Beginn weg schon alles klar sein müsse. Einige Zettel haben wir zwischenzeitlich neu geklebt und diese Justierung ist auch heute noch nicht abgeschlossen.
SB: Martina und Simon beim Universitätsspital Zürich oder Petra und Daniel bei der ZKB berichten davon, dass sie ein Coaching am Anfang der Zusammenarbeit als sehr wertvoll erachtet haben. Wie seid ihr beim gemeinsamen Start unterstützt worden?
MS: Wir haben ein Team Coaching gemacht und konnten dabei unsere Arbeitsorganisation und insbesondere «was machen wir gemeinsam und wie teilen wir die Aufgaben unter uns auf» spiegeln. Daneben ging es aber auch um ganz alltägliche Sachen wie beispielsweise der Umgang mit Abwesenheitsnotizen. Wir haben das Bewusstsein geschärft, dass kleine Dinge eine grosse Wirkung erzeugen können und dass es gerade in der Kommunikation viel Klarheit braucht.
SS: Das Coaching war ein super Gefäss für die gegenseitige Reflexion. Oft fehlt dafür im Alltag, wenn Abgabetermine anstehen oder wichtige Personalthemen anzugehen sind, die Zeit. Zudem haben wir eine Aufstellung aller Aufgaben gemacht um uns bewusst zu werden, wie wir die Aufgaben priorisieren wollen. Dies hat uns zu viel Transparenz verholfen.
MS: Ein Coaching ist, wie «eine Betriebsanleitung» miteinander zu teilen. So haben wir besprochen, dass wir beide davon ausgehen können, solange wir uns gegenseitig keine Rückmeldung geben, für uns beide alles ok ist.
«Das Coaching war ein super Gefäss für die gegenseitige Reflexion.»
SB: Welche Herausforderungen habt ihr bisher im Jobsharing erlebt und wie habt ihr sie gemeistert?
MS: Für mich war es anspruchsvoll, in eine bestehende Situation reinzukommen und zu sagen: «jetzt bin ich auch da und ihr dürft – oder müsst – auch zu mir kommen». Sonst bleibt alles bei Samuel und das wäre für Samuel volumenmässig nicht machbar und auch für die Co-Leitung nicht förderlich. Ich musste mich selber finden in der neuen Rolle und auf diesem Weg auch das Team mitnehmen.
SS: Auch ich musste viele Grenzen setzen und Themen, die ich früher alleine bearbeitet hatte, nicht einfach an mich nehmen. Auch mussten wir lernen, uns Zeit zu nehmen für den gegenseitigen Austausch. Diese Zeitfenster setzen wir heute lange im Voraus, da wir sonst kurzfristig keine Zeit finden. Wir haben mindestens einmal pro Woche einen längeren Austausch (90 Minuten) sowie mehrere kurze zwischendurch. Einkommende Anfragen bündeln wir, überlegen uns idealerweise schon ein passendes Vorgehen und besprechen diese in den gemeinsamen Slots. Wir brauchen so insgesamt nicht mehr Zeit für die Beantwortung der Anfragen, aber es braucht mehr Disziplin, um nicht «adhoc» oder unkoordiniert zu handeln.
SB: Pflegt ihr einen gleichen Führungsstil? MS: Wir haben einen ähnlichen Führungsstil – suchen den Dialog und fördern Partizipation - sind aber der Meinung, dass unser Führungsstil nicht zwingend gleich sein muss. Wichtig ist Authentizität und dass man so bleibt, wie man ist.
SS: Zu strategischen Themen entwickeln wir eine gemeinsame Haltung und führen eine darauf abgestimmte, stringente Kommunikation. Der persönliche Austausch mit den Mitarbeitenden gestalten wir individuell aus und sehen diese Diversität als Chance.
«Der persönliche Austausch mit den Mitarbeitenden gestalten wir individuell aus und sehen diese Diversität als Chance.»
SB: Was passiert im Falle, dass eine/r von beiden nicht mehr will? Es gibt Unternehmen, die vertraglich regeln, wie im Falle eines Austrittes einer Person vorgegangen werden soll. Wie ist das bei euch? MS: Wir sind diesbezüglich komplett transparent. Wenn ich eine Idee für eine berufliche Weiterentwicklung hätte, würde ich das sofort mit Samuel spiegeln. Wir sind in einer gewissen Verantwortung uns gegenüber. Ich schätze Samuel sehr und würde auch in einer solchen Situation seine Sicht nicht missen wollen. Eine vertragliche Regelung gibt es bei uns jedoch nicht.
SS: Transparenz ist sehr wichtig für uns. Wir haben einen weiten Planungshorizont und da ist wichtig zu wissen, wer wo mit dabei ist.
SB: Welchen Rat würdet ihr anderen Führungskräften geben, die sich für Jobsharing interessieren?
SS: Ich sehe in diesem Führungsmodell sehr viele positive Aspekte. Die gewonnene Flexibilität, die Kombination verschiedener strategischer und operativer Aufgaben, das Sparring oder den konstruktiven Dialog. Wichtig bei all dem ist, dass ein grosses gegenseitiges Vertrauen und eine hohe Diskussionsfähigkeit da ist.
MS: Eine Person, die sich mit Topsharing auseinandersetzt, soll sich überlegen, wie sie als Führungsperson funktioniert und ob sie Verantwortung abgeben, bzw. ob sie gemeinsam Verantwortung übernehmen kann. Wenn diese Vorstellung in die Unternehmenskultur passt, dann rate ich, es unbedingt zu probieren. Und hier schliesst sich der Kreis mit einer Aussage von mir zu Beginn des Gespräches: «ich wäre nie in dieser Position gelandet, wenn mir diese Stelle nicht als Co-Leitung angeboten worden wäre».
Zu den Interviewpartnern:
Michèle Schönbächler ist gemeinsam mit Samuel Schmid Co-Leiterin der beiden Radiosender SRF 1 und SRF Musikwelle. Sie ist ausgebildete Juristin (MLaw) und ist seit knapp 24 Jahren bei Schweizer Radio und Fernsehen in diversen Funktionen tätig. Sie lebt mir ihrem Sohn im Kanton Obwalden und lässt sich von Pferden und klassischer Musik begeistern.
Samuel Schmid leitet gemeinsam mit Michèle Schönbächler die beiden Radiosender SRF 1 und SRF Musikwelle im Co-Lead. Er ist nach seinem Publizistikstudium an der Universität Zürich via Privatradio zum damaligen Radio DRS 1 gekommen. Hier hat er in den letzten 14 Jahren vom Redaktor bis zum Sendeleiter regelmässig neue Aufgaben übernommen. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt mit seiner Familie in Zürich.
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